Über die Mitschuld am Elend der Welt
Schuldig geboren und im Staube kriechend. Dieses Bild vom Menschen wurde meiner katholisch aufgewachsenen Mutter vermittelt. Sie mochte es nicht, da in ihren Augen jedes Kind unschuldig geboren wird und frei von Schuld ins Leben hinaustreten sollte. Sie wandte sich von der Religion ab, wie viele andere auch. Ich stehe im Supermarkt mit zwei Salatgurken in der Hand, die eine biologisch angebaut, aber in Plastik verpackt. Die andere unverpackt, aber nicht biologisch angebaut. B
Und plötzlich ist man links
Und plötzlich ist man links Sie nahm mich zur Seite und sagte hinter hervorgehaltener Hand: «Das bist doch du, die auch kifft, oder?» Ich nickte verschwörerisch, und wir waren Verbündete. Sie war anders als die anderen Schülerinnen. Eigenwillig und wild. Der erste Punk, den ich kennenlernte. Ich freute mich, eine so coole Gefährtin gefunden zu haben. Es ging uns nicht um Politik. Wir hatten eine gute Zeit und loteten überall aus, wie weit wir gehen konnten. Wir lernten andere Punks kennen, wohnt
Distanzen
Wieder wich ich zurück. Wir hatten nun die Gasse schon dreimal im Zickzack durchquert – ich rückwärts, er im Vormarsch. Mein Bekannter, ziemlich angetrunken, war auf Bargespräche eingestellt, die ja nur nah am Ohr und in hoher Lautstärke funktionieren. Also grölte er mir mitten in der Zürcher Altstadt aus nächster Nähe ins Gesicht. Ich, nüchtern und im Nachtleben noch nicht ganz angekommen, wich seiner Bierfahne aus, indem ich rückwärtsgehend versuchte, den angemessenen Abstand von einer Armläng
Ausschluss
Als dieses Foto gemacht wurde, war ich 18 Jahre alt. Zehn Jahre später, mit 28, war ich immer noch eine begeisterte Tangotänzerin, wie auch mit 38. Im November, zwei Tage vor der Abstimmung über das Referendum zum Covidgesetz, werde ich 48 Jahre alt, und noch immer begleitet mich der Tango. Er prägt die Art und Weise, wie ich die Welt sehe. Er ist Teil meines Wesens. Es ist neu für mich, ausgeschlossen zu sein. Seit die Erweiterung der Zertifikatspflicht Mitte September unter Freudengeheul d
Rückblitze
Albisrieden: Jeder Schritt tötet eine Schnecke. Ich habe keine Wahl. Das ist mein Weg und ich kann den Boden nicht sehen. Fellenbergstrasse: Neben mir der Reifen eines Autos. Ich liege am Boden. Mir ist schlecht. Meine erste Zigarette. Es folgen tausende. Siemens: Sommer, Musik, Tangotanzen. Ich bin verliebt. Hubertus: Warten. Tram oder Bus, immer bin ich auf der falschen Seite. Krematorium Sihlfeld: Unzählige Namen auf den Grabsteinen. Ich bin schwanger. Nur noch wenige Tage. Doch welcher Name?
1000x Dynamo
Angefangen hatte es Anfangs Neunziger in der besetzten Kulturfabrik Wohlgroth in der ich zu dieser Zeit lebte. Rolf, mein Vater hatte mich eines Tages angesprochen ob wir nicht einen Tangokurs in der Wohlgroth machen sollen. „Spinnst Du Papi, wir machen hier Pogo, keinen Tango…“. Die Idee hatte aber dennoch die Runde gemacht und eines Tages sprachen mich ein paar Leute an, dass sie das jetzt doch gerne ausprobieren möchten (es sei ihnen zwar egal ob es Walzer oder Tango sei, Hauptsache eine Abwe